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Interview mit Ansgar Wortmann von der Tafel Dortmund e.V.

Als ich an einem Freitag gegen 14 Uhr bei der Dortmunder Tafel in der Nähe des Borsigplatz ankomme, herrscht reger Betrieb. „Heute morgen war es deutlich voller, jetzt ist es schon eher ruhig.“, relativiert Ansgar Wortmann, einer der beiden Leiter der Tafel Dortmund. Der hochgewachsene 54jährige muss es wissen. Immerhin arbeitet er hier bereits seit 13 Jahren und hilft Menschen, denen das Geld fehlt für das Nötigste: Nahrung. Getränke. Haushaltswaren. Im Interview berichtet er von der Arbeit des Vereins.

Herr Wortmann, wie viele Menschen werden von der Tafel in Dortmund verpflegt?
Wir haben in Dortmund acht Filialen, zu denen pro Woche insgesamt 4.000 Leute kommen. Weil wir viele Familien als Kunden haben, muss man diese Zahl aber grob mal vier nehmen. Tatsächlich verpflegen wir pro Woche also rund 16.000 Menschen.

Wer ist überhaupt bezugsberechtigt und wie läuft das praktisch ab?
Bezugsberechtigt sind alle, die ihre Bedürftigkeit nachweisen können. Wir können das nicht selbst überprüfen und verlassen uns auf die Bescheinigung der jeweiligen Ämter. In der Regel ist das ein Hartz IV- oder Sozialhilfe-Bescheid oder ein Nachweis über den Asylbewerber-Status. Hinzu kommen Rentner, die einen Wohngeldbescheid vorweisen können, denn bei denen ist die Rente so niedrig, dass man daraus automatisch einen Anspruch ableiten kann. Diese Menschen werden nach ihrer Aufnahme von uns mit einem Berechtigungsausweis ausgestattet, der regelmäßig neu beantragt werden muss und der verfällt, wenn man vier Mal in Folge nicht zur Tafel gekommen ist. Rein praktisch läuft es vor Ort so, dass die Leute immer zu verschiedenen Zeiten zu uns kommen. Zum einen ist das gerechter, als wenn eine Familie immer um 9 Uhr der Eintritt gewährt wird, zum anderen vermeiden wir so, dass es vor dem Eingang zu einem Gedränge kommt.

Was ist mit Obdachlosen, die nicht mit Ämtern in Kontakt stehen und daher nichts nachweisen können?
Die können in der Regel nichts mit unserem Angebot anfangen, weil wir Lebensmittel ausgeben, die verarbeitet werden müssen. Aber Obdachlose werden zumindest auf Umwegen von der Tafel bedacht, indem wir Einrichtungen wie die Suppenküchen beliefern.

Wenn man sich hier auf dem Gelände umschaut, sieht man viele Mitarbeiter, einen Fuhrpark mit etlichen LKW und große Räumlichkeiten. Wie wird das alles finanziert?
Wir leben ausschließlich von Spenden und in einem kleinen Umfang auch von dem, was unsere Kunden als symbolischen Beitrag zahlen, denn jeder Einkauf bei der Tafel kostet einen Euro. Zudem werden viel Mitarbeiter im Rahmen von Fördermaßnahmen vom Jobcenter finanziert, sonst könnten wir das alles hier nicht leisten. Insgesamt haben wir rund 500 Menschen, die an den acht Standorten in Dortmund mitarbeiten. Rund 100 kommen vom Jobcenter, um hier fünf Tage in der Woche zu arbeiten. Die vielen ehrenamtlichen Helfer sind hingegen einmal die Woche hier. Wir haben zudem das Glück, dass Dortmund eine große Stadt ist mit vielen Unternehmen, von denen uns einige langfristig und mit nennenswerten Beträgen unterstützen.

Wie hat sich die Situation für die Tafel Dortmund verändert, seit dem Russland in der Ukraine Krieg führt?
Wir haben das natürlich gemerkt anhand der vielen Menschen, die plötzlich bei uns vor der Tür standen. Als die Flüchtlingsbewegung losging, haben wir uns dazu entschlossen, unbürokratisch und schnell zu helfen – ein ukrainischer Reisepass hat als Nachweis gereicht, um den Menschen den direkten Zugang zu unserem Angebot zu gewähren. Wir haben versucht, dem Aufkommen schnell gerecht zu werden und daher an einem Standort einen weiteren Tag geöffnet, nur für Flüchtlinge aus der Ukraine. Aus 100 Leuten, von denen wir ausgegangen sind, wurden dann aber sehr schnell 500, 600 Menschen, die Bedarf angemeldet haben. Das war für uns einfach nicht mehr zu stemmen und leider trat dann ein, was wir unbedingt vermeiden wollten: es wurde etwas chaotisch. Wir haben dann unter großer Anstrengung rund 200 Personen mit einem Berechtigungsausweis ausstatten können, für weitere 1.000 Leute reichte die Kapazität jedoch nicht mehr. Diese Menschen stehen jetzt auf einer Warteliste. Neben der benötigten Ware bedeutet der Zustrom aus der Ukraine für uns auch einen großen Bearbeitungsaufwand. Wir haben zwar Glück, dass einige Leute von uns die Sprache sprechen, die Fragen, die für unsere Arbeit wichtig sind, müssen dennoch gestellt werden. Wohnen die Menschen überhaupt noch in Dortmund, oder sind sie bereits weitergezogen? Wie viele Menschen gehören einem Haushalt an? Lebt man mit seiner Familie oder Fremden in einer WG? Im Gegensatz zu einem Hartz-IV-Kunden, bei dem auf den beigebrachten Papieren bereits alles steht, müssen wir das selbst recherchieren. Und das ist ein großer Mehraufwand, zumal unsere Arbeit darauf eigentlich nicht ausgerichtet ist.

Sie arbeiten seit 13 Jahren bei der Tafel in Dortmund. Wie hat sich in dieser Zeit die Situation hier vor Ort verändert?
Als ich vor 13 Jahren angefangen habe, hatten wir rund 3.000 Berechtigungsausweise im Umlauf, jetzt sind es 4.000 – zuzüglich der erwähnten 1.000 Leute, die aktuell auf der Warteliste stehen. Bei der Warenanlieferung hat sich verändert, dass wir nicht mehr so viel vom Einzelhandel beziehen, sondern mehr von Produzenten und Großmärkten bzw. Großhändlern direkt. Das ist für uns durchaus ein Vorteil, weil es viele Fahrten zu kleineren Einzelhändlern spart. Wir kriegen zu 90 Prozent Ware, die der Großmarkt ansonsten vernichten müsste. Das kann zum Beispiel der neue Joghurt eines Herstellers sein, der am Markt keine Nachfrage hat oder eine Salami-Pizza, auf der eine Scheibe Wurst fehlt und daher nicht mehr dem Qualitätsanspruch des Herstellers genügt. Solche Produkte landen bei uns genauso wie eine Pralinen-Kiste, an der die Plastikfolie eingerissen ist. Es ist ein bisschen perfide, aber für die Hersteller ist es oft kostengünstiger, eine Maschine über Nacht laufen zu lassen. Eine mögliche Überproduktion, die daraus resultiert und im Handel nicht verkauft wird, landet dann bei uns.

Nehmen Sie bei den Kunden, die die Tafel frequentieren, eine Veränderung wahr?
Der Bedarf lässt sich oft am Weltgeschehen festmachen. So haben uns die Flüchtlingsbewegungen aus Syrien, Afghanistan und Irak stark beschäftigt, in Phasen hatten wir 2.000 Menschen auf der Warteliste. Aktuell ist die Situation wieder sehr angespannt. Wir haben den Krieg in der Ukraine und eine Inflation, die jetzt die Leute trifft, die vorher noch gesagt haben, dass sie schon irgendwie über die Runden kommen. Die Nachfrage wird daher sicher steigen und das ist eine große Herausforderung. Das Alter der Kunden hat sich in den Jahren hingegen kaum geändert. Man vermutet ja immer, dass die Alten mehr werden, Stichwort Altersarmut, aber das kann ich bei uns anhand der Zahlen noch nicht ablesen.

Wer die Tafel Dortmund unterstützen möchte, informiert sich hier: Die Dortmunder Tafel stellt sich vor

Wer eine Tafel in einer anderen Stadt unterstützen möchte, findet hier eine Übersicht: Die Tafeln - Die Tafeln